Doggerland

Doggerland: eine versunkene Welt in der Nordsee - Deutsch

Gesammeltes Doggerland

Die zahlreichen Funde in dieser Ausstellung stammen hauptsächlich von Sammlern, Fischern und Strandgängern. Diese Hobbyarchäologen und -paläontologen verbringen bei Wind und Wetter viele Stunden an den Stränden. Nicht selten dokumentieren und archivieren sie ihre Funde auf professionelle Art und Weise. Sie arbeiten eng mit Wissenschaftlern zusammen: Gemeinsam schreiben wir die Geschichte von Doggerland.

Was, wenn Sie etwas finden?

Bei einem Strandspaziergang entdecken Sie etwas, von dem Sie vermuten, dass es alt ist: Tonscherben, Treibholz, menschliche Knochen, Feuerstein, Fossilien oder alte Tierknochen, Gebrauchsgegenstände aus Glas, Metall und Ähnliches.

Was sollten Sie tun ?

Am wichtigsten ist, dass Sie vor Ort so viele Informationen wie möglich sammeln:

  • Wo haben Sie den Fund gemacht? Koordinaten sind am besten, aber es ist auch hilfreich, sich zu merken, bei welchem Bezugspunkt und wie weit entlang des Strandes sich der Ort befindet.
  • Unter welchen Umständen wurde der Fund gemacht? War der Gegenstand vergraben, ragte er aus dem Boden heraus, lag er an der Flutlinie, auf nassem oder trockenem Sand usw. Befanden sich noch andere Artefakte in der Umgebung?
  • Bitte beschreiben Sie Ihren Fund so genau wie möglich und fügen Sie möglichst aussagekräftige Fotos bei. Legen Sie eine 2-Euro-Münze oder – bei größeren Funden – eine Latte oder einen Schuh als Referenz für die Größe daneben.. Auch Details und/oder Fotos der Vorder- und Rückseite sind hilfreich.

Wie und wo melden Sie diese Funde ?

Strukturen, größere Funde oder Fundkonzentrationen sollten Sie am besten liegen lassen. Melden Sie diese bitte so schnell wie möglich über die Anwendung „Toevalsvondsten“ (Zufallsfunde) von Onroerend Erfgoed (das flämische Amt für Kulturgut): https://www.onroerenderfgoed.be/toevalsvondst

Fundstücke, die Sie mit einem Metalldetektor gefunden haben, melden Sie bitte über die Metalldetektor-Meldeanwendung. https://loket.onroerenderfgoed.be/archeologie/metaaldetectievondstmeldingen

Falls es sich um einen einzelnen Fund handelt, können Sie den Fundort, das Funddatum und Fotos an Onroerend Erfgoed senden unter [email protected].

Falls Sie menschliche Knochen oder Munition finden, lassen Sie den Fund bitte liegen, benachrichtigen Sie die Polizei (unter 112) und bleiben Sie beim Fundort, um ihn zu lokalisieren. Bitte vergessen Sie nicht, auch Onroerend Erfgoed zu informieren.


[VITRINE 1]

Errinerungen an die versunkene Landschaft

Während der Eiszeiten war das Gebiet des Doggerlands oft eine kalte Steppenlandschaft, die von Rentieren, Pferden und Mammuts beweidet wurde. Reste von Mammuts gelangen auch heute noch gelegentlich in die Netze von Fischern oder werden an belgischen und niederländischen Stränden gefunden.

Zwinguide Omer Rappé war in den 1970er-Jahren zusammen mit seinen Brüdern und seiner Schwester als Fischer aktiv. Ihr Schiff, die Z 420 VERA, war mit einem Baumkurren ausgestattet. Bei dieser Fangtechnik wird das Netz über den Meeresboden geschleppt. Mehrmals wurden dabei Überreste eines Mammuts an Bord geholt: ein riesiger Stoßzahn und zwei Backenzähne, Erinnerungen an die versunkene Landschaft in der Nordsee.

1. Teil eines Stoßzahns eines Mammuts (Gewicht: 9,9 kg), von der Familie Rappé Anfang der 1970er-Jahre bei den Hinderbanken aus der Nordsee gefischt.

Rüsseltiere besitzen vier sichtbare Backenzähne, die im Laufe ihres Lebens bis zu sechsmal ausgetauscht werden können. Dabei schiebt sich jeweils ein neuer Zahn von hinten im Kiefer nach vorne, bis der alte Zahn herausgedrückt wird.

2. Backenzahn eines Mammuts (Gewicht: 6,0 kg), von der Familie Rappé in der Nordsee gefischt.

Im vergangenen Frühjahr wurden mehrere Bestandsaufnahmen der Brutvogelinseln im Zwin von Mitarbeitenden des INBO, ANB und des Zwin-Naturparks durchgeführt. Bei einem dieser Besuche machte Eric Stienen im angelieferten Muschelsand einen unerwarteten Fund: einen vollständig erhaltenen Backenzahn eines Mammuts.

3. Backenzahn eines jungen Mammuts, Brutvogelinseln im Zwin, gefunden am 14.05.2025.


[VITRINE 2]

Faustkeil

Faustkeile waren über viele Jahrtausende das wichtigste Werkzeug des Neandertalers und seiner Vorläufer. In Doggerland wurden Hunderttausende dieser Geräte hergestellt und verwendet. Man trug sie bei sich, bewunderte sie und mitunter gingen sie auch verloren. Der Faustkeil ist das Symbol einer untergegangenen Welt.

1. Faustkeil aus Feuerstein, Yerseke/Middeldiep, ca. 50.000 Jahre

Spitze

Spitzen aus Knochen und Geweih wurden für Jagdwaffen wie Speere und Pfeile verwendet. Nach der letzten Eiszeit waren sie weit verbreitet bei unseren Vorfahren, die in der nahrungsreichen, jedoch allmählich im Wasser versinkenden Landschaft des Doggerlands lebten.

2. Spitze aus Knochen, Maasvlakte 1, 11.000 – 8000 Jahre


[VITRINE 3]

Entdeckung

1. Submerged Forests (1913) von dem britischen Geologen Clement Reid

Von einer Landbrücke zur Landmasse

Lange Zeit hielt man Doggerland für eine Landbrücke und nicht für eine ständig besiedelte Landmasse. Das änderte sich mit der Publikation Doggerland. A speculative survey (1998) der Archäologin Bryony Coles, die auf die große Bedeutung des versunkenen Gebiets hinwies und ihm seinen Namen gab: Doggerland.

2. Doggerland. A speculative survey von Bryony Coles (1998).

Leman-and-Ower-Banks-Harpune

Im September 1931 kam der erste Beweis für menschliches Leben in Doggerland zutage: Im Schleppnetz des Trawlers „Colinda“ befand sich ein großes Stück Torf, aufgefischt bei den Sandbänken Leman und Ower. Als der Fischer Lockwood den Klumpen aufbrach, fiel eine gut erhaltene, 21 Zentimeter lange gezähnte Speerspitze aus Geweih auf das Deck.

3. Replikat einer Speerspitze aus Geweih, Leman-and-Ower-Banks, Original ca. 11.740 v. Chr., Anfertigung: Diederik Pomstra

Niederländische Forschung

In den Niederlanden publizierte Leendert Louwe Kooijmans, Kurator des Rijksmuseum van Oudheden, 1970 eine Übersicht über bearbeitete Artefakte des Mesolithikums aus Knochen und Geweih.

4. Mesolithic bone and antler implements from the North Sea and the Netherlands (1971) von Leendert Louwe Kooijmans mit einem beschriebenen Fundstück, einer Dechsel aus Knochen, Bruine Bank, 9000–6000 v. Chr.

5. Fossile Reste von Säugetieren und jüngste Funde, Pleistozän und Holozän, Leihgaben North Sea Fossils


[VITRINE 4]

Bohrkern

Ein Bohrkern ist ein Archiv tausender Jahre an Umweltveränderungen. Der hier gezeigte Kern wurde 500 Meter vor der Küste von Raversijde in einer Tiefe von 5 Metern entnommen und offenbart 10.000 Jahre Geschichte.

Von unten nach oben erkennt man braunen Sand mit Wurzelspuren, ein Hinweis auf Ablagerungen in einem ehemaligen Flussgebiet. (1)

Darüber liegt eine dunkle Torfschicht, ein Überrest von Sumpfpflanzen aus einer feuchten Periode vor etwa 9000 bis 8000 Jahren. (2)

Die darauf folgende graue Schlickschicht deutet auf den Übergang zu einem Gezeitengebiet hin, verursacht durch den steigenden Meeresspiegel und die Verdichtung des Bodens. Dieser Prozess wurde ab der Römerzeit durch den Torfabbau zusätzlich beschleunigt. (3)

Ganz oben ist eine Muschelschicht sichtbar, ein deutliches Zeichen für eine vollständig marine Umgebung. (4)

Dieser Kern zeigt eindrucksvoll, wie der Anstieg des Meeresspiegels in den letzten Jahrtausenden die Landschaft grundlegend verändert hat. Weitere Laboranalysen helfen dabei, diese Geschichte noch detaillierter zu verstehen.


[VITRINE 5]

Strandgänger

Die ältesten Spuren von frühen Verwandten des modernen Menschen in Nordeuropa wurden 2013 in England bei Happisburgh (Norfolk) entdeckt. Spektakulär war die Entdeckung einer Ansammlung von Fußabdrücken in dem lehmigen Boden, die auf ein Alter von 950.000 bis 850.000 Jahre datiert werden. Insgesamt wurden auf einer Fläche von ungefähr vierzig Quadratmetern fünfzig Fußabdrücke freigelegt. Sie stammen von einer etwa fünfköpfigen Gruppe, darunter auch Kinder. Eine Pollenanalyse ergab, dass damals ein kälteres Klima herrschte als heute, mit einer starken Verbreitung von Kiefern und anderen Nadelhölzern.

1. Abdruck eines Abgusses einer der fünfzig Fußspuren, die bei Happisburgh entdeckt wurden, 2013, mit freundlicher Genehmigung von Nick Ashton/Pathways to Ancient Britain Project.

Der erste Faustkeil

Mit einem Alter von etwa 700.000 Jahren ist der Happisburgh-Faustkeil der älteste Nordeuropas. Faustkeile waren die „Schweizer Messer“ unserer frühen Vorfahren. Ihre Herstellung erforderte ein hohes Maß an Wissen und Geschicklichkeit, dafür hatten sie aber auch eine lange Haltbarkeit.

2. Replikat des Happisburgh-Faustkeils, Happisburgh, Original 700.000–500.000 Jahre, Leihgabe Norfolk Museums


[VITRINE 6]

Feuerstein: ein vielseitiges Material

Faustkeile aus Feuerstein sind die bedeutendsten Zeugen der Kultur der Neandertaler. Es sind die „Schweizer Taschenmesser“ jener Zeit, geeignet zum Schneiden und Hacken, aber auch, in Verbindung mit Pyrit, zur Erzeugung von Feuer. Ein besonderer Fund sind die 33 Faustkeile, die der Hobbyarchäologe Jan Meulmeester innerhalb weniger Tag bei einem Kiesunternehmen in Vlissingen fand.

1. Faustkeil aus einer Feuersteinknolle aus Flusskies, Moustérien-Kultur, Zandvoort, 160.000–40.000 Jahre

2. Faustkeil, Yerseke, 90.000–40.000 Jahre

3. Drei der 33 Faustkeile, die Jan Meulmeester fand, Vlissingen, 250.000–200.000 Jahre, Leihgabe Jan Meulmeester

Arten von Werkzeugen

Die Werkzeuge der Neandertaler aus Feuerstein umfassten neben Faustkeilen auch Schaber in verschiedenen Größen für die Bearbeitung von Häuten, Knochen und Holz, Spitzen für die Jagd und gezähnte Werkzeuge zum Sägen.

4. Schaber, Castricum, 90.000–40.000 Jahre

5. Spitze (möglicherweise eines Speers), Moustérien-Kultur, Zandmotor, 90.000–40.000 Jahre

Form und Technik

Die Form und die Bearbeitungstechnik zeugen von dem handwerklichen Können, das die Herstellung dieser Werkzeuge erforderte. Und sie geben Auskunft über das Alter und die Herkunft der Geräte. Bei den meisten Strand-Funden handelt es sich um Abfallprodukte bei der Bearbeitung von Feuerstein, wie zum Beispiel alte Kernsteine oder missglückte Abschläge.

6. Levallois-Abschlag, Camperduin, Schoorl, 300.000–50.000 Jahre

7. Levallois-Abschlag, Yerseke, 300.000–40.000 Jahre

8. Abschläge, Maasvlakte 2, 300.000–40.000 Jahre

9. Kernsteinfragment, Yerseke, 300.000–40.000 Jahre

BILD: Ein Neandertaler wird mit einem kleinen Messer aus Feuerstein mit einer Schäftung aus Birkenpech rasiert. Illustration: Kelvin Wilson


[VITRINE 7]

Produktionsmethode

Anhand chemischer Untersuchungen konnten kleine Verunreinigungen im Pech nachgewiesen werden. Das deutet auf eine Herstellungsmethode mit einem kleinen Ofen und einem Auffangbehälter hin. Neandertaler verwendeten somit viel Zeit auf die Suche nach Brennholz und Birkenrinde auf der nahezu baumlosen Mammutsteppe und auf die Entwicklung derartiger technologisch komplexer Fähigkeiten.

1. Replikat eines Messers aus Feuerstein mit Birkenpech-Fassung, Zandmotor, Original ca. 50.000 Jahre

2. Zu Rollen geformte Birkenrinde

3. Klumpen aus ausgehärtetem Birkenpech

4. Experimentell hergestellte Speerspitze mit einer Schäftung aus Birkenpech. Anfertigung: Paul Kozowyk

BILD: Ein Neandertaler schäftet ein Feuerstein-Messer mit Birkenpech. Illustration: Tom Björklund


[VITRINE 8]

Krijn

Der Fund wurde eingehend untersucht, unter anderem vom Max-Planck-Institut in Leipzig. Man stellte fest, dass es sich um den Knochen eines – vermutlich männlichen – jungen Erwachsenen handelt. Eine Untersuchung der stabilen Isotope ergab, dass die Person viel Fleisch verzehrt haben muss – typisch für diese Großwildjäger.

Eine Auffälligkeit war eine kleine Vertiefung über dem Überaugenwulst, die von einem Tumor unter der Haut herrührt. Diese Geschwulst war jedoch nicht lebensbedrohlich.

1. Replikat des fossilen Stirnbeins (lat. Os frontale) des ersten Neandertalers der Niederlande, „Krijn“, Zeelandbanken/Yerseke, ca. 50.000 Jahre

2. Replikat des Stirnbeins von „Krijn“ in einem Replikat des Neandertalerschädels aus La Chapelle-aux-Saints in Frankreich: es passt haargenau. Damit ist es 3000-mal wahrscheinlicher, dass das Fossil ein Neandertaler ist als ein anderer Vorläufer des modernen Menschen. Leihgabe Jan Glimmerveen

3. Wissenschaftliche Impression von „Krijn“, erstellt von Kennis & Kennis Reconstructions, basierend auf dem Schädel bei Nr. 2 in dieser Vitrine und dem Unterkiefer eines jungen Neandertalers aus Kroatien. Die breite Nase ist ein typisches Merkmal der Neandertaler, ebenso wie das vorragende Gesicht. In der Gesichtsrekonstruktion ist der Tumor unter der Haut deutlich als Beule über der rechten Augenbraue zu erkennen.


[VITRINE 9]

Früheste Kunst

Aus dieser Zeit sind nur vier weitere vergleichbare Funde aus Nordeuropa bekannt, darunter der Unterkiefer eines Pferdes aus Wales, der mit rotem Ocker eingerieben wurde. Man nimmt an, dass diese Objekte eine rituelle oder symbolische Bedeutung hatten. Die ähnliche Verzierung deutet darauf hin, dass es auch über weite Entfernungen Kontakte untereinander gab.

1. Replikat des verzierten Mittelfußknochens. Die Verzierung wurde mit rotem Ocker eingerieben, wie auch bei einem Fund aus Wales. Anfertigung: Diederik Pomstra, Material: Rinderknochen

Der älteste moderne Mensch der Niederlande hatte vermutlich eine sehr dunkle Hautfarbe und blaue Augen. Analysen des aDNA (ancient DNA) zeigen, dass diese Kombination vor etwa 13.000 Jahren verbreitet war. Eine hellere Haut, die mehr Vitamin D bildet, entwickelte sich in Europa zum Teile erst in späterer Zeit und hing mit aufeinanderfolgenden Wanderungen bäuerlicher Gemeinschaften aus dem Nahen Osten und später aus der Ukraine und Südrussland zusammen.

2. Klinge, Maasvlakte 1, 300.000–10.000 Jahre

ABBILDUNG: Rekonstruktion des mesolithischen „Cheddar Man“

Rekonstruktion und Foto: Kennis & Kennis


[VITRINE 10]

Verwendung und Wiederverwendung

Große gezähnte Spitzen (ab 8 cm) dienten vermutlich als Spitzen für (Fisch)Speere, die kleineren (3-8 cm) als Pfeilspitzen für die Jagd auf Fische, Vögel und Säugetiere.

Untersuchungen der Gebrauchsspuren zeigten, dass die Spitzen intensiv benutzt und auch ausgebessert wurden.

1. Gezähnte Spitze aus Knochen, Maasvlakte 1, 9000–6000 v. Chr.

2. Die erste Spitze aus Knochen, 1971 gefunden von Adrie de Vries, Maasvlakte 1, 9000–6000 v. Chr., und eine Kopie des Schreibens, in dem er den Fund mitteilt.

3. Spitzen unterschiedlicher Größe und mit verschiedenen Arten von Widerhaken, Maasvlakte 1, Hoek van Holland und unbekannt, 9000–6000 v. Chr.

Herstellungsweise

Spitzen wurden mit der so genannten groove and splinter-Technik hergestellt: Mit einem Werkzeug aus Feuerstein wurden der Länge nach Kerben in ein Stück Knochen oder Geweih geritzt, aus dem schließlich ein Span herausgelöst werden konnte. Durch Schleifen und Polieren erhielten sie ihre endgültige Form. Zur Schäftung der Spitzen verwendete man Fasern wie etwa Sehnen, gelegentlich auch (Birken)Pech.

4. Abfallteile der groove and splinter-Technik aus Knochen und Geweih, Colijnsplaat und Rockanje, 9000–6000 v. Chr.

5. Nachbildungen zur Veranschaulichung der groove and splinter-Technik, hergestellt mit Steinwerkzeugen. Herstellung: Diederik Pomstra.

Menschliche Kraft

Eine interessante Frage ist, welche Knochen für die Herstellung von Spitzen verwendet wurden. Aufschluss darüber gibt die ZooMS-Methode, mit deren Hilfe Eiweiße identifiziert werden können. Das überraschende Ergebnis: Sieben der neun untersuchten Spitzen bestanden aus Rothirsch-Knochen und zwei – aus menschlichen Knochen!


Bouldnor Cliff

Im Jahr 1999 entdeckten Taucher einen Krebs, der Feuersteine aus seiner Höhle warf. Dadurch entdeckten sie eine 8.000 Jahre alte mittelsteinzeitliche Siedlung in der Solent-Meerenge (Südengland). Der Fundort, der langsam erodiert, befindet sich in einem versunkenen Wald am Rande einer Flussebene. Es wurden Tausende von Feuersteinwerkzeugen, ein Beil und Tierreste gefunden. Dies deutet darauf hin, dass entlang des Flusses Nahrung zubereitet wurde. Ein Stück weiter wurden viele bearbeitete Holzstücke gefunden, mit Spuren von Werkzeugen und Erhitzung: ein großer Eichenstamm schien zu einem Kanu verarbeitet worden zu sein. Bouldnor Cliff scheint mit seinen großen hölzernen Plattformen aus Rinde und Splintholz die älteste Werft der Welt zu sein.

3D-Fotomosaik einer mesolithischen Holzplattform von Bouldnor Cliff. Foto: Maritime Archaeology Trust.

Altes Getreide

Ein weiterer spektakulärer Fund an Bouldnor Cliff war die Entdeckung von Sedimenten, die die DNA eines 8.000 Jahre alten Kulturgetreides, dem Einkorn, enthielten. Das ist bemerkenswert, denn erst 2.000 Jahre später entstanden in Großbritannien die ersten bäuerlichen Gemeinschaften. Haben wir es hier mit einem sehr frühen Import aus dem Osten zu tun?

VIDEO: Dieses Video zeigt Ausgrabungen an der mesolithischen Stätte von Bouldnor Cliff, die von der Erosion bedroht ist. Hier ist zu sehen, wie Funde unter Wasser dokumentiert und gezeichnet werden und wie in einem Raster gearbeitet wird, indem mit Stahlkästen in Abschnitten gegraben wird. ©The Hampshire and Wight Trust for Maritime Archaeology


[VITRINE 11]

Hohlmeißel und Hacken

Hohlmeißel wurden aus den Mittelfußknochen von Hirschen und Rindern hergestellt und dienten unter anderem der Holzbearbeitung.

1. Vollständiger Mittelfußknochen eines Pferdes, Texel, 50.000–5000 v. Chr.

2. Abgetrennter Gelenkkopf, Rockanje, 9000–6000 v. Chr.

3. Hohlmeißel aus Knochen, unterschiedliche Größen, verschiedene Nordsee-Fundorte, 9000–6000 v. Chr.

4. Fragment einer Spitzhacke aus Knochen mit Bohrloch, Bruine Bank, 9000–6000 v. Chr.

Geweihbeile und -meißel

Geweihbeile und -meißel dienten hauptsächlich dem Holzfällen und der Holzbearbeitung. Geweih eignete sich aufgrund seiner Härte und Elastizität sehr gut als Rohmaterial für Werkzeuge. Häufig wurde das Geweih der Rothirsche verwendet; es stammte von erlegten Tieren oder war vom Wild abgeworfen worden.

5. Geweihbeile unterschiedlichen Typs, verschiedene Nordsee-Fundorte, 9000–6000 v. Chr.

Fassungen

Um scharfkantige Werkzeuge aus Feuerstein oder Tierzähnen – Beile, Dechseln oder Meißel – an einem Stiel zu befestigen, verwendete man Fassungen oder Manschetten aus Geweih. Sie dienten der Schlagdämpfung und sorgten für eine längere Haltbarkeit.

6. Fassung aus Rothirschgeweih, Maasvlakte 1 oder Rockanje, 9000–6000 v. Chr.

7. Verzierte Fassung aus Elchgeweih, südliche Nordsee, 13.000–6000 v. Chr.

8. Abfallteile der Geweihbearbeitung (teils abgeworfen, teils mit Schädelfragment), Southern Bight (südliche Nordsee), 9000–6000 v. Chr.

Ahlen und Nadeln

Zum Durchbohren von Häuten und Pelzen wurden Ahlen verwendet. Dickere Nadeln dienten möglicherweise als Netznadeln, mit denen Fischernetze repariert wurden.

9. Dolch- oder ahlenartige Werkzeuge aus Wirbelknochen, unter anderem Yerseke, 9000–6000 v. Chr.

10. Ahlen und ahlenartige Fragmente aus Knochen, Scheveningen, Rockanje und Maasvlakte 1, 9000–6000 v. Chr.


Lieber nicht anfassen

Experimentelle Erfahrung

Wir finden oft Teile von Werkzeugen, wie Pfeilspitzen oder ein zerbrochenes Beil. Manchmal ist noch ein Stück des Schafts vorhanden. Vor allem in der Nordsee ist viel organisches Material wie Knochen, Geweih und Holz erhalten geblieben. Durch die Kombination von experimenteller Forschung anhand von Repliken und archäologischer Forschung können wir herausfinden, wie Werkzeuge hergestellt wurden, wie sie funktionierten und wie sie aussahen. Diese Repliken wurden von Diederik Pomstra erstellt.

Links, von oben nach unten

Tüllenmeißel

Dieser Rohrmeißel wurde aus dem Mittelfußknochen eines Rindes hergestellt, indem eine Seite durchbohrt und die andere abgeschrägt wurde. In der Tülle steckt ein Schaft aus Erlenholz. Diese Werkzeuge sind extrem hart und eignen sich z. B. für die Bearbeitung von Holz und Häuten.

Geweihbeil

Geweihe sind hart, zäh und langlebig. Dieses Beil ist aus einem Stück Rotwildgeweih gefertigt, der Schaft aus Haselholz ist in der Durchbohrung befestigt. Das Werkzeug diente zum gröberen Hacken. Diese Art von Werkzeug wurde viele Jahrhunderte lang verwendet.

Grabstock

Mit einem Grabstock konnten Menschen im Boden nach Nahrung suchen oder Gruben graben. Eine Steinbeschwerung (auch Geröllkeule genannt) diente als Gegengewicht beim Graben und erleichterte die Arbeit. Oft wurde dieser Stein sanduhrförmig durchbohrt. Mit dem im Feuer gehärteten Stock wurde gegraben.

Ein Grabstock war auch eine Keule oder Hiebwaffe.

Mitte

Kombinierte Dechsel

Dies ist eine Dechsel, ein horizontal geschäftetes Beil. Sie wurde aus dem Hauer eines Wildschweins hergestellt. Das Stück war in einer Manschette aus Geweih befestigt, die Stöße dämpfte. Eine Dechsel war nützlich für feine (Holz-)Arbeiten.

Rechts

Pfeile und Speere

Der Pfeil wurde aus einem Haselzweig gefertigt. Die Pfeilspitze wurde aus Rotwildknochen gefertigt und mit Lindenbast befestigt. Die Gänsefedern wurden mit einer Sehne befestigt.

Die Speerspitze besteht aus Geweih, das unter Einsatz von Hitze begradigt wurde. Sie wurde wird mit Kirschbaumbast an einem Haselnuss(fisch)spieß befestigt.

VIDEO: Die Herstellung von Werkzeugen aus einem Stück Feuerstein erforderte eine Menge Erfahrung. Im Jungpaläolithikum und Mesolithikum entwickelte sich eine Technik, bei der mithilfe von Feuerstein(-klingen) mit (Geweih-)Hämmern und durch Druck lange Späne aus einem Kernstück gewonnen wurden. Durch weitere Bearbeitung und das Schärfen dieser Klingen konnten alle möglichen nützlichen Werkzeuge hergestellt werden. © Gallo-Romeins Museum Tongeren

VIDEO: Die Groove- and-Splinter-Technik war eine praktische Methode, um eine Vielzahl von Werkzeugen aus einem Stück Knochen oder Geweih zu gewinnen. Durch das Zerspanen des Materials mit Feuerstein entstanden schmale Halbfabrikate, die zu verschiedenen Werkzeugen verarbeitet werden können. © Gallo-Romeins Museum Tongeren


[VITRINE 12]

Davongekommen!

Mikro-CT-Aufnahmen zeigten, dass es sich bei dem Projektil im Hirschunterkiefer um eine Feuerstein-Klinge handelt, die ihren Zweck offensichtlich ebenso wie eine Pfeilspitze erfüllte. Möglicherweise hat das Tier den Angriff überlebt, denn es scheint, als wäre der Knochen nach dem Eindringen der Klinge noch weitergewachsen.

1. Unterkieferfragment eines Rothirschs mit eingebetteter Klinge aus Feuerstein, Hoek van Holland, 9000–6000 v. Chr.

Mikrolithen, kleine Abschläge und Klingen finden sich oft an der niederländischen Küste.

2. Abschläge, Maasvlakte 2 und Zandmotor, 9000–6000 v. Chr.

Jagd und Schlachtung

Immer wieder findet man Knochenstücke, die deutliche Schlachtspuren von Werkzeugen aus Feuerstein aufweisen. Die Knochen wurden auch aufgebrochen, um an das nahrhafte Knochenmark zu gelangen. An Otter- und Biberknochen wurden Schneidespuren nachgewiesen, die belegen, dass diese Tiere ihrer Felle wegen geschlachtet wurden.

3. Knochen und Knochenfragmente mit prähistorischen Schneidespuren, Maasvlakte und Rockanje, 9000–6000 v. Chr.

4. Köpfe aufgebrochener Mittelfußknochen, möglicherweise für die Entnahme von Knochenmark. In einem Exemplar ist eine Muschel steckengeblieben, Southern Bight (südliche Nordsee), 9000–6000 v. Chr.


Karte einer verlorenen Landschaft

Die losen Funde an den Stränden und in den Fischernetzen stammen aus einer weitläufigen, unbekannten Landschaft. Seit 2015 hat ein internationales Forscherteam im Rahmen des Programms Europe's Lost Frontiers alle vorhandenen Informationen kartiert.

Das Projekt verbindet Archäologie, Geophysik, Molekularbiologie und Computersimulationen, um zu untersuchen, wie die Gemeinschaften in Doggerland mit dem Klimawandel und dem Vordringen des Meeres umgingen. Mit Hilfe von Modellen versucht man auch zu bestimmen, wo in der Landschaft Fundorte liegen könnten. Von großer Bedeutung sind dabei geophysikalische und seismische Daten der Rohstoffindustrie. Anhand dieser Daten können Flüsse, Dünen, Seen und Deltas kartiert werden.

Der angebohrte Tsunami

Nach der seismischen Untersuchung wurde ein groß angelegtes Bohrprogramm an zwei Standorten gestartet. Die Bohrkerne wurden datiert und untersucht. Die Ergebnisse erbrachten Beweise für die Auswirkungen des Storegga-Erdrutsches, der vor 8150 Jahren einen für Doggerland verheerenden Tsunami verursachte, und zwar in Form von Ablagerungen von Steinen und zerbrochenen Muscheln. Es stellte sich heraus, dass damals drei große separate Wellen an Land spülten und sich wieder zurückzogen.

Verdacht bestätigt?

Im Jahr 2019 fand eine Expedition mit dem Forschungsschiff Belgica im Rahmen des Projektes Europe's Lost Frontiers statt. Sie waren auf dem Weg zum Southern River vor der Küste von Norfolk, der geophysikalischen Untersuchungen zufolge im Mesolithikum ein idealer Ort für ein Lager gewesen wäre. Grab samples förderten zwei bearbeitete Feuersteinstücke zutage, darunter ein Fragment eines Klopfsteins. Es war das erste Mal, dass eine geophysikalische Untersuchung tatsächlich zur Entdeckung einer Stätte führte.

Bruine Bank

Die 30 km lange Bruine Bank mit ihren Sandkämmen und Rinnen ist einer der besten Fundorte in der Nordsee. Seit 2018 findet dort ein britisch-belgisch-niederländisches Forschungsprojekt statt: Deep History: Revealing the palaeolandscape of the Southern North Sea. An Bord des Forschungsschiffs Belgica wurden akustische Techniken eingesetzt, um den Grund der Bruine Bank zu kartieren. Bohrungen und Aushubmaterial brachten Holz, Holzkohle und unbearbeiteten Feuerstein zum Vorschein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Fundstätten gefunden werden.

VIDEO: Dieses Video bietet einen Einblick in die jüngsten Forschungen des Vlaams Institut voor de Zee. Es werden verschiedene Techniken besprochen, die uns helfen, die Landschaft von Doggerland besser kennen zu lernen.

ABBILDUNGEN VON OBEN NACH UNTEN:

RV Simon Stevin: das flämische multidisziplinäre Forschungsschiff. Foto: Vlaams Instituut voor de Zee.

Doggerland vor ca. 16.000 Jahren, zeigt den Southern River, eine Forschungsstätte des Projekts Europe's Lost Frontiers. Abbildung: Europe’s Lost Frontiers.

Forscher bei der Arbeit auf der RV Simon Stevin. Foto: Vlaams Instituut voor de Zee.

3D-Scan eines Fragments eines Klopfsteins, der nahe dem Southern River gefunden wurde. Abbildung: Europe’s Lost Frontiers.


Agassiz

Nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor 22.000 Jahren schmolzen die Eiskappen und der Meeresspiegel stieg in 10.000 Jahren um 65 Meter an. In unserer heutigen Zeit, dem Holozän, stieg das Meer bis vor 8000 Jahren um bis zu 1 m pro Jahrhundert. Manchmal geschah dies sehr schnell, wie vor 8450 Jahren, als durch schmelzendes Landeis in Kanada plötzlich mehrere große Seen, darunter der Agassizsee, in den Atlantik abflossen. Der Meeresspiegel stieg dadurch in 200 Jahren um 4 m an. Ein Großteil von Doggerland verschwand. Die Doggerbank wurde zu einer Insel und im flachen Rhein-Maas-Tal bei Rotterdam verschob sich die Küstenlinie um 100 m pro Jahr nach Osten.

Storegga

Während des rapiden Anstiegs des Meeresspiegels ereignete sich noch eine weitere Katastrophe. Um 6150 v. Chr. brach vor der Küste Norwegens ein 290 km langer Landstreifen mit einem Volumen von 3000 km3 ab. Dies verursachte eine gigantische Flutwelle, die in der Nähe der Shetland-Inseln 20 m und an den Küsten Schottlands 5 m hoch war. Auch hier wälzte sich eine unaufhaltsame Welle aus braunem Wasser durch die niedrigen Schilfgebiete bei Leiden und Rotterdam, um schließlich in den Sumpfwäldern von Nordbrabant auszulaufen. Der Tsunami hinterließ eine leere, aber immer noch bewohnbare Landschaft. Um 5500 v. Chr. verschwanden die letzten Teile von Doggerland endgültig unter den Wellen.

Erinnerungen an Doggerland

Doggerland verschwand vor Tausenden von Jahren unter den Wellen. Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass die Nordsee einst Land war. An anderen Orten dagegen, wie z. B. in Australien bei den Yarra und Narrunga, scheinen die Erinnerungen an Land, das vor Tausenden von Jahren versankt, in Legenden noch immer lebendig zu sein. Es könnte also durchaus sein, dass die uns bekannten Geschichten über Atlantis, die Sintflut aus der Bibel und die Erwähnung einer Sintflut im Gilgamesch-Epos von einem existierenden Land handeln, das einst versank.

Diese Karte zeigt den Kontinentalschelf, wobei das in den letzten 20.000 Jahren verschwundene Gebiet rot hervorgehoben ist (Quelle: Simon Fitch/Lost Frontiers Project, Bradford University).

Australien: Archäologische Fundstätten, die 3 bis 14 m unter Wasser entdeckt wurden. Die Narrunga aus Spencer's Gulf (Südaustralien) erzählen, dass das Gebiet einst Teil einer großen, flachen Flussebene mit Süßwasserlagunen war, dann aber vom Meerwasser überflutet wurde. Das Versinken lässt sich auf die Zeit vor 12.450 bis 9550 Jahren datieren.

Die Yarra bei Port Phillip Bay (Victoria) erinnern sich daran, dass die Bucht ein Jagdgebiet für Kängurus und Opossums war und dass der Yarra River viel weiter draußen ins Meer mündete. Das Gebiet ist versank vor 9350 bis 7220 Jahren.

Doggerland und Europa: Einst 2,5 Millionen km2 trockenes Land: 40 % des heutigen Europas. Lange bewohnt, bis es überflutet wurde.

Das Schwarze Meer: Um 5600 v. Chr. durchbrach das Mittelmeer eine Barriere und überflutete in kurzer Zeit 100.000 km2 rund um das heutige Schwarze Meer. Möglicherweise inspirierte dieses Ereignis die Sintflutgeschichte in der Bibel.

Beringia: Eine Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska. Möglicherweise vor 40.000 bis 30.000 Jahren bewohnt und zusammen mit der Ostküste das Tor zur frühen Besiedlung Nordamerikas.

Sundaland: 2 Millionen km2 versunkenes Tiefland zwischen Südostasien und Australien.


[VITRINE 13]

Gut erhalten

In ganz Europa sind aus mesolithischer Zeit nur wenig Knochen erhalten – vom Grund der heutigen Nordsee dagegen stammt gut erhaltenes Material.

1. Oberarmknochen mit Probe für eine C14-Datierung, Bruine Bank, 8271–7966 v. Chr. Eine aDNA-Analyse ergab, dass es sich um einen Mann aus einer typischen Haplogruppe der Jäger-und-Sammler-Kultur handelt.

Kräftige Kiefer

Die Form und die Merkmale eines Knochens verraten uns etwas über das Geschlecht, das Alter, Verletzungen oder Krankheiten. Die mesolithischen Knochen sind sehr robust, wie auch an dem Unterkiefer zu sehen ist. Vermutlich brauchte der mesolithische Mensch kräftige Kieferknochen und Backenzähne für die Nahrungsaufnahme und als Werkzeuge – im Gegensatz zu den Bauern des Neolithikums, die Brei und Brot aßen.

2. Unterkieferfragment mit Probe, Bruine Bank, 8422–8241 v. Chr.

Fisch auf dem Speiseplan

Stabile Isotope wie Kohlenstoff und Stickstoff im Knochenmaterial geben Aufschluss auch über die Ernährung. Durch Messungen des Kohlenstoffs und des Stickstoffs in über 30 menschlichen Knochenfragmenten fand man heraus, dass die Nahrung der meisten Bewohner von Doggerland überwiegend aus Süßwasserfischen, Wasservögeln, Ottern und Bibern bestand. Mit zunehmender Vernässung des Gebiets nahm auch der Verzehr von Landtieren ab, und die Menschen ernährten sich nun vermehrt von Süßwassertieren. Das beweist, dass die Bewohner von Doggerland sich an die veränderten Bedingungen anpassten und nicht aus diesem Gebiet wegzogen. Künftige Untersuchungen der Strontium-Isotope können uns auch noch Aufschluss über die Herkunft und die Mobilität der Menschen geben.

3. Bohrer für die Probeentnahme, Probenröhrchen und Pipette


[HOLOGRAMM]

Riesenalk

Nein, das ist kein Pinguin! Hier steht ein Riesenalk. Diese Art gehört zur Familie der Alkenvögel und ist verwandt mit Arten wie Trottellumme und Papageitaucher. Sie ist die größte Art dieser Familie, fast doppelt so groß wie der gewöhnliche Tordalk. Genauer gesagt, müssten wir in der Vergangenheitsform sprechen, denn der Riesenalk ist ausgestorben. Er hat die zweifelhafte Ehre, eine der wenigen europäischen Vogelarten zu sein, die vollständig verschwunden ist. Im Jahr 1844 wurden die letzten beiden lebenden Exemplare in Island getötet.

Eine Besonderheit des Riesenalks war, dass er flugunfähig war. Um unter Wasser Fische zu jagen, war das Fliegen nicht notwendig. Gebrütet wurde auf niedrigen Felseninseln entlang der Küsten des nördlichen Atlantiks, und auch dafür war keine Flugfähigkeit erforderlich. Riesenalke waren hervorragend an das Leben auf hoher See angepasst, jedoch auf eine Weise, die sie anfällig für Überjagung durch den Menschen machte.

Dieses Hologramm basiert auf einem detaillierten 3D-Scan des (einzigen) präparierten Riesenalks aus der Sammlung des Königlichen Belgischen Instituts für Naturwissenschaften (KBIN) in Brüssel. Durch DNA-Analyse konnte festgestellt werden, dass es sich um das Männchen des letzten jemals gesehenen Paares handelt, das auf der Insel Eldey vor der Küste Islands lebte. Dank moderner Technologie können wir dieses seltene Exemplar digital zum Leben erwecken, ohne das empfindliche Original zu belasten.


[VITRINE 14]

Strandfund eines Riesenalks

Im Oktober 2021 fand Sonja Luypaert einen Vogelknochen am Strand von Ostende. Dank ihrer jahrelangen Erfahrung als Strandgutsammlerin erkannte sie, dass es sich um einen alten Knochen handelte und dass es möglicherweise etwas Besonderes sein könnte. Der Fund wurde mehreren Experten vorgelegt. Bram Langeveld vom Naturhistorischen Museum Rotterdam stellte fest, dass es sich um den Humerus (Oberarmknochen) des ausgestorbenen Riesenalks handelte, das erste Mal, dass ein Überrest dieser ikonischen Vogelart in unserem Land entdeckt wurde!

Sonjas bemerkenswerter Fund unterstreicht die Bedeutung von Bürgerwissenschaft, bei der engagierte Bürgerinnen und Bürger (Hobbyarchäologen und -paläontologen) eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung und dem Schutz unseres naturhistorischen Erbes spielen.

Noch im selben Jahr entdeckte Sven Delandat einen zweiten Knochen, diesmal am Strand von Blankenberge. Inzwischen sind in den Niederlanden Dutzende von Funden von Skelettresten des Riesenalks bekannt. Das deutet darauf hin, dass diese Art nach der letzten Eiszeit möglicherweise regelmäßig als Wintergast in der südlichen Nordsee vorkam.


[VITRINE 15]

Flämische Walrosse

In den letzten Jahrzehnten wurden Dutzende fossiler Walrossknochen aus dem Scheur bei Zeebrugge geborgen. Walrosse sind leicht an ihren imposanten Stoßzähnen zu erkennen, die bei erwachsenen Tieren ein Leben lang wachsen und bis zu einem Meter lang werden können. Bei den meisten fossilen Schädeln sind diese Stoßzähne abgebrochen, wie auch bei diesem Exemplar. Die tiefen Zahnfächer, in denen sie einst verankert waren, sind jedoch noch deutlich sichtbar.

Die Backenzähne von Walrossen sind wenig entwickelt. Sie ernähren sich hauptsächlich von Muscheln, die sie aus ihren Schalen saugen und ganz verschlucken.

1. Schädelfragment mit Oberkiefer eines erwachsenen Walrosses, das Scheur (Zeebrugge), 100.000–45.000 Jahre alt

2. Unterkiefer eines Walrosses, das Scheur (Zeebrugge), 100.000–45.000 Jahre alt

Sammlung: Naturhistorisches Museum Rotterdam


[VITRINE 16]

Eine Schnellstraße für den Handel

Im Neolithikum und in der Bronzezeit nahmen der Handel und der Austausch über See zu: Die Menschen, und mit ihnen Wissen und Produkte, fuhren entlang der Küsten. In den nachfolgenden Jahrhunderten spielte die Nordsee eine immer wichtigere Rolle innerhalb der Handelsnetzwerke.

1. Bronzenes Absatzbeil, Yerseke, 1500–1100 v. Chr.

2. Chinesische Guanyin-Figur aus Elfenbein, Yerseke, um 1600–1900 n. Chr.

Mensch und Meer

Der menschliche Einfluss auf die Nordsee stellt eine große Bedrohung nicht nur für die Archäologie, sondern auch für das einzigartige Ökosystem dar. Beispiele sind angespülte, tote Schweinswale, über Bord gegangene Container, Hunderttausende von Wattestäbchen, (schwimmender) Plastikmüll und unsichtbares Mikroplastik. Organisationen wie die Stiftung De Noordzee oder Greenpeace untersuchen das Ausmaß der Verschmutzung.

3. Feuerzeug mit Seepocken, Wattestäbchen

Die Eingriffe des Menschen liefern uns zahlreiche Informationen über Doggerland. Zugleich bedrohen sie das archäologische Erbe: Gut erhaltene Fundorte erodieren oder werden von Saugbaggern zerstört. Der Rijksdienst voor Cultureel Erfgoed arbeitet gemeinsam mit Institutionen und Interessenvertretern an Plänen für einen besseren Schutz des vorgeschichtlichen Erbes in der Nordsee. Denn unser vielleicht bedeutendster archäologischer Schatz liegt unter Wasser.

4. Das 2019 überarbeitete North Sea Prehistory Research and Management Framework (NSPRMF)